Der "Hilten Peter"

 
Der Peter Hilten
    

 

Erzählung nach der mündlichen Überlieferung
durch Johann Wilhelm Woll (* 08.01.1881)

Es waren friedvolle Jahre gewesen, die Zeiten nach dem Kriege von 1870/71 bis zum ersten Weltkrieg 1914/18. Höhepunkte im Jahre waren die Kirmes, der “Meertestag (Martini) und im Winter die Theaterabende der Vereine.

Aber auch wenn die “Ziehungsbuben” von Saarlouis von der Musterung nach Hause kamen, ging es hoch her. Dann spielte der “Hilten Peter” beim “Strauß Matz” (Gasthaus) auf seiner Handharmonika zum Tanz auf, und manches Glas wurde auf die “Infanterie” oder die “Artillerie” geleert. Der Winter war eine besinnliche Zeit, und nach der Tagesarbeit saß man mit Freunden und Nachbarn zusammen, und das Gespräch wurde gepflegt.

Der Winter war auch die beste Zeit des “Hilten Peter”. Dieser Dorfschalk und Lebenskünstler verdiente sich seinen Unterhalt durch die Dienste als Rasierer und Haarschneider. Einer geregelten Arbeit ging er tunlichst aus dem Wege.

Der Peter war am 21.l1.1875 geboren worden und lebte mit seiner Mutter, einer Witwe, in einem kleinen Haus nahe der Gastwirtschafi “Strauß Matz” (Strauß Kutscher), wo er auch meist anzutreffen war.

Von diesem “Dorfeulenspiegel” sind zahlreiche Schurren und Geschichten bekannt, die von seiner Schlagfertigkeit und seiner Bauernschläue berichten. Der “Hilten Peter” war von kleiner Gestalt, schwächlich und hatte ein schiefe Schulter; grobe Arbeit konnte er nicht verrichten. In der Schule war er gut gewesen, konnte gut rechnen und lesen. Bevor er als Rasierer und Haarschneider seinen Lebensunterhalt bestritt, verrichtete er kleine Botengänge und Besorgungen. Mit zunehmendem Alter aber trat er immer mehr als “Barbier von Hülzweiler” auf und war ob seiner Sprüche und seiner Schlagfertigkeit gerne gesehen.

Als Junggeselle hatte er immer viel Zeit, und er fühlte sich stehts dem Jahrgang zugehörig, der gerade zur Ziehung zum Militär anstand. Dieser Jahrgang war immer freigiebig und lustig, was der Lebensauffassung des “Hilten Peter” entgegenkam. Er spielte an den “Ziehungsabenden” die Handharmonika und wurde dann natürlich völlig freigehalten, was Essen und Trinken anging.

Eine besondere Spezialität des Peter war es, in jedem Jahr einmal eine Verlosung abzuhalten. Er kaufte eine Handharmonika oder "etwas ähnliches im Wert von fünf Mark, fertige selber Lose an und verkaufte diese im Ort. Am Sonntagabend fand dann unter großer Gaudi die Verlosung beim “Strauß Matz” statt. Man erzählte sich aber, dass zumeist nur seine “Freunde” das “Große Los” gezogen hatten. So beklagte sich einmal seine “Good” ( = Patin), dass noch nie einer ihrer Buben den Preis gewonnen habe, obwohl sie jedes Mal ein Los gekauft hätte.

Als der nächste Verlosungstermin anstand, kaufte die “Good” natürlich wieder ein Los. Am Verlosungssonntag klopfte es spät abends am Fenster der “Good”. Auf Frage wer da sei, hörte sie: “Ich bin’ s, der Peter. Ich will Dir nur sagen, Dein Johann hat die Harmonika gewonnen”.

Für die damaligen Verhältnisse war der “Hilten Peter” schon belesen. Die Tageszeitung, die seine Mutter austrug, es waren recht wenige Exemplare, las er immer aufmerksam, und wenn er nach Saarlouis kam, besorgte er sich alte überregionale Zeitungen und auch alte, zerrissene Bücher. Er war ein ausgezeichneter Schachspieler und spielte in den Gasthäusern gerne um eine Runde Bier, die er meistens auch gewann. So erzählte man sich, dass er den Kassenrendant Hoff ab und zu gewinnen ließ, weil der dann recht großzügig war, denn gegen den “Hilten Peter” im Schach zu gewinnen war eine Leistung. Dann gab es für den Peter eine gute Zigarre und auch für den Durst war gesorgt.

Er war vielen Dingen seiner Zeit voraus. So kam es dann, dass am “Fassendsonntag” (Fastnacht) der Peter beim “Strauß Matz” mit einer Pappkrone, einer Halskrause und einem Zepter erschien und erklärte, er sei “Prinz Karneval der Erste” von Hülzweiler. Es war die Zeit, als man in den Dörfern erstmals von den großen Bällen in Köln und im Rheinland hörte. Die Gaudi war riesengroß, die Stimmung im Saal und in der Gastwirtschaft geriet aus dem Häuschen. Der Peter wurde gefeiert und entsprechend mit dem nötigen Getränk versorgt. Obwohl gut gestählt von den vielen Bierabenden, erlag Peter gegen Mitternacht dem Alkohol und sank neben dem großen Bullerofen im Saal in einen tiefen Schlaf.

Nun ging es erst richtig los. Die Burschen trugen den Peter auf einer Tischplatte aus dem Saal, zündeten Kerzen an und transportierten ihn nach Hause. Sie legten ihn auf den Boden in der Küche. Später erzählte der “Hilten Peter” er habe geglaubt, als er aufwachte und zwischen den Kerzen lag, er sei gestorben. Das Spektakel machte seine Runde und tat der Popularität des Peter aber keinen Abbruch.

Nach dem Tode seiner Mutter lebte der Peter allein in seinem Haus. Abends las er beim Schein der Petroleumlampe, wenn er nicht "zufällig" einmal im Wirtshaus war. Am liebsten aber las er sogenannte “Räuberpistolen”, die er dann gerne weitererzählte. Er konnte spannende Geschichten bringen, aber oft erzählte er sie so realistisch, dass er sich spät in der Nacht nicht alleine nach Hause traute und einer seiner Freunde bei ihm übernachten musste. Dann zündete er die Lampe an und ließ sie die ganze Nacht brennen. Tags darauf war alles vergessen, und das große Wort wurde weiter geführt.

Geldsorgen hatte der Peter immer. Nur im Jahre 1906 kam er zu einem größeren Betrag. Es hatte bei ihm gebrannt, und der Peter war schon versichert. Es war kein großer Schaden, aber ein bisschen Geld sprang schon heraus. Es wurde aber gemunkelt, dass der Peter am Brandtag von der Gastwiitschaft “Strauß Matz” aus auffällig oft zum Fenster geblickt habe, von dem aus er sein Häuschen gut sehen konnte. Doch niemand nahm Anstoß, und der “Hilten Peter” war eine Weile saniert.

Die Geschichte mit dem Kassierer der Bauerei sorgt auch für Gesprächsstoff und gab Anlass zum Schmunzeln. Früher kamenn noch die Kassierer der Brauereien zum Wirt, um das “Biergeld” zu kassieren. Die “Eingeweihten” wussten um diesen Termin immer, denn der Kassierer gab immer einige Freibier aus, was natürlich gut ankam. Zu den “Eingeweihten” gehörte selbstverständlich auch der Peter. Doch zu seinem Leidwesen kam der Kassierer immer mit einer großen Dogge in das Wirtshaus, und der Peter hatte panische Angst vor großen Hunden. So kam es dann eines Tages zur großen Explosion:
Wieder eimnal War der Kassierer beim Strauß Matz erschienen, die “Freibiertrinker” standen bereit, und der Kassierer saß in der Prominentenecke , den Hund an der Leine, die er um das Handgelenk gewickelt hatte. Das Fenster war offen, und unbemerkt ließ der Peter einen “Donnerschlag” mit glimmender Schnur neben dem Hund nieder. Dann erst betrat er scheinheilig grüßend die Gaststätte. Am Tresen angelangt gab es urplötzlich einen furchtbaren Knall unter dem Tisch der Honoratioren, und eine Stichflamme schlug hoch. Der große Hund sprang jaulend auf und schleifte seinen Herrn, den Bierkassierer, durch die Gaststube, riss sich los und sprang durch das Fenster auf die Straße. Niemand hatte bemerkt, dass der Peter die “Bombe” gelegt hatte. Ein großes Rätselraten begann - was war passiert? Erst viel später kam man dahinter. Der “Hilten-Peter” konnte so ganz sein Mundwerk nicht halten. Vom Hund des Kassierers aber ging die Geschichte um, dass er nicht mehr zu bewegen war, in eine Wirtschaft mitzugehen.

Auch politisch hatte der Peter seine besonderen Ansichten. Er war sehr fieiheitlich gesinnt‚ und er erzählte seinen staunenden Zuhörern schon von Garibaldi, dem italienischen Freiheitskämpfer, und von Gambetta, dem französischen Scharfmacher im Nachbarland.

Er war aber von ängstlicher Natur, und als im Jahre 1902 der Mord an einem Mädchen am Wege nach Schwarzenholz geschah, war er tagelang nicht zu bewegen, abends aus dem Haus zu gehen, obwohl Kriminalgeschichten seine Lieblingslektüre waren.

Auch an den Kirmestagen war Peter in Hochform und spielte dann auf der Harmonika beim “Strauß Matz” oder in der “Hild” beim Kutscher (Gastwirtschaft). In einem richtigen Orchester konnte man ihn nicht gebrauchen, denn er kannte keine Noten, hatte sich das Spielen selber beigebracht. Bei Hochzeiten war er auch gerne gesehen. Sein Witz und sein Spiel brachte Stimmung und der “Hilten Peter” hatte für eine Woche ausgesorgt.

So schlug er sich recht und schlecht durchs Leben. Mit fünfzig ist er an Lungenentzündung gestorben. Er hatte eine Beerdigung wie eine wichtige Persönlichkeit, die er ja vielleicht auch war.

 

 
Der Peter Hilten

 Foto: Aus der Sammlung von Peter Strumpler